Von der Überführung unserer Kreuzfahrtschiffe über die Ems zur See
Zwei- bis dreimal im Jahr überführen wir ein Kreuzfahrtschiff auf der Ems nach Eemshaven in den Niederlanden. Dieses Ereignis lassen sich viele Tausend Schaulustige, Einheimische, Touristen und Schiffsbegeisterte nicht entgehen. Wenn sich dann ein schwimmender Riese rückwärts durch die Landschaft schiebt, ist die Freude am Deich und im Hinterland groß. Und immer wieder stellen sich die Deichgäste die eine Frage: Da hat dieser Kreuzfahrer ein so stattliches Vorschiff – und fährt doch rückwärts in Richtung See. Warum? Davon soll diese Serie handeln, vor allem aber davon, wie man das überhaupt macht: ein großes Schiff auf einem kleinen Fluss zu navigieren. Was sich wie eine Fahrt im gemächlichen Fußgängertempo ausnimmt, ist in Wahrheit eine höchst knifflige Angelegenheit, die wochenlange Vorbereitungen erfordert. Wer das verstehen will, muss ein wenig in die technischen Details einsteigen.
Die Lotsen

Um den Neubau im Voraus kennenzulernen, trainiert das Team die Überfahrt am Schiffssimulator des Maritimen Forschungsinstituts der Niederlande (MARIN) in Wageningen.
Die Daten des betreffenden Schiffes wie seine Abmessungen, seine Antriebe und deren Leistung, ja sogar die Strömungsverhältnisse am Rumpf werden hier zu einem virtuellen Modell zusammengeführt. Sie fahren den Neubau gewissermaßen am Bildschirm, wobei sich bestimmte Daten wie der Tiefgang auf der Ems und der Wind variieren lassen. „Zuerst machen wir uns im Team mit dem Schiff und der Umgebung vertraut. Dann werden die Abschnitte geübt, die etwas schwieriger sind, die Bauwerke und Kurven“, erklärt Wolfgang Thos. „Im Gegensatz zu früher habe ich jedoch die Trainingsintensität erhöht: Wir müssen noch mehr auf mögliche Störungen eingehen, auf Störfälle von außen, auf Störfälle im System.“ Nach dem Simulator-Training gibt es niemanden, der das Schiff und sein Verhalten besser kennen würde als das Team der Lotsen. „Wir kommen auf dem realen Schiff dann sehr gut zurecht“, sagt Thos. „Ich habe noch nie den Eindruck gehabt, dass das Schiff sich völlig anders als in der Simulation verhalten hätte.“
Pods, Querstrahler und Schlepper

Eine Überführung auf der Ems wäre mit dem eigenen Antriebssystem unter Umständen zu schaffen, doch die Schlepper reduzieren bestimmte hydrodynamische Einflüsse und dienen als sichere Reserve, sollten die bordeigenen Antriebssysteme einmal ausfallen. Daher werden zwei große Schlepper gechartert, als zusätzliche Manövrierhilfe. Sie sind 28 Meter lang, 12 Meter breit und haben mit ihren drei Azimuth-Propellern einen Pfahlzug von je 80 Tonnen. Früher waren die Schlepper auf herkömmliche Weise über Leinen mit dem Schiff verbunden: Der vordere Schlepper zog, der hintere übernahm die Steuerfunktion.
Heute hingegen werden die Schlepper zeitweilig fest mit dem Schiff verbunden, was den gesamten Verband kürzer und damit besser steuerbar macht. Dazu wird am Hinterschiff eine Adapterplatte an den Rumpf geschraubt, an die einer der Schlepper mit mehreren Drähten lückenlos festmacht. Am Vorschiff wird ein speziell angefertigter Ponton über den Wulstbug geschoben und mit Drähten fest angeleint, an den der zweite Schlepper andockt, und zwar quer. „Die fest verbundenen Schlepper sind wie ein zusätzlicher Antrieb, wir haben damit eine bessere Kontrolle“, sagt Wolfgang Thos.
Lesen Sie in Teil 2 unserer Serie warum das Schiff rückwärts überführt wird, warum es eine eigene Sprache braucht und warum das gängige GPS als Positionssystem nicht ausreicht.
Autor: Henning Sietz, Berlin
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